Liebe FreundInnen,
ich wurde gebeten eine kurze Stellungnahme zur aktuellen Situation im Iran und den internationalen Reaktionen, sowie möglichen Handlungsmöglichkeiten abzugeben. Da ich selbst während Eures Kongresses im Irak bin und derzeit mehrere wissenschaftliche Projekte abzuschließen habe, bitte ich um Verzeihung, dass diese nur sehr kurz einige Fragen thematisieren kann. Da mir die mutigen Proteste der iranischen Bevölkerung gegen den Wahlbetrug, die brutale Repression und die Diktatur im Allgemeinen, jedoch sehr wichtig sind, will ich mir trotz meines derzeit extrem knappen Zeitbudgets die Zeit nehmen einige Überlegungen mit Euch zu teilen.
Ich denke, dass Ihr alle besser über die konkreten aktuellen Entwicklungen im Iran Bescheid wisst als ich. Als nichtiranischer Politikwissenschafter, der auch nicht primär zum Iran arbeitet, will ich Euch nicht den Iran und die Funktion der Repressionsmaschinerie des Khameini-Ahmedinejad-Regimes erklären. Ihr selbst kennt diese – oft durch leidvolle eigene Erfahrung – wesentlich besser als ich.
Deshalb will ich Euch nur einige Überlegungen zu den internationalen Reaktionen auf die Entwicklung im Iran mit Euch teilen und dann einige Probleme ansprechen, die meines Erachtens für die Zukunft des Iran nach dem Ende dieses Regimes wichtig werden und die nicht früh genug thematisiert werden können.
Zunächst einmal zu den internationalen Reaktionen:
Ob es uns gefällt oder nicht: Die internationale Öffentlichkeit hat das Interesse an der innenpolitischen Entwicklung im Iran mittlerweile weitgehend verloren. Medien in Europa oder Nordamerika – ja in der gesamten kapitalistischen Welt - funktionieren nun einmal so, dass sie ausschließlich über Dinge berichten, die sie für verkaufssteigernd halten. Dafür sind sensationelle Neuigkeiten interessant, aber nicht lange andauernde Kämpfe. Ob im Iran derzeit immer noch Proteste gegen das Regime stattfinden, ist damit für diese medialen Öffentlichkeiten nicht von Interesse. Der Iran erhält derzeit wieder ausschließlich aufgrund seines Atomprogramms internationale mediale und politische Aufmerksamkeit. Die iranische Opposition kann sich deshalb auch keinesfalls auch Unterstützung aus dem Ausland verlassen. Im Gegenteil: Den Sturz dieses Regimes können nur die Iranerinnen und Iraner erreichen!
Trotzdem wäre es klug sich sympathische und Inhalte vermittelnde Kommunikationsstrategien für die globale Zivilgesellschaft zu überlegen. Dazu ist Medienarbeit durchaus wichtig. Diese muss aber klug einzelne Journalistinnen und Journalisten ansprechen und mit neuen Informationen versorgen. Mindestens ebenso wichtig ist es dabei aber auch Aktionsformen für politische Aktionen zu verwenden, die auch den NichtiranerInnen vermittelbar sind und sich nicht wiederholen, sondern immer wieder neues bringen – das dann auch berichtenswert ist.
Ein Problem für die Vermittlung der Anliegen der iranischen Opposition an Europäerinnen und Europäer stellt dabei immer wieder die Zerstrittenheit der iranischen Opposition dar. So wichtig es auf der einen Seite ist sich gegenüber den Autoritarismen von Einst abzugrenzen und einen klaren Trennungsstrich zu Monarchisten oder zu den im Irak in schwerste Kriegsverbrechen verwickelten Volksmujahedin zu ziehen, so unverständlich sind in einer solchen Situation Richtungskämpfe zwischen verschiedenen Strömungen der linken, liberalen und demokratischen Opposition! Ich sehe hier positive Ansätze für ein Zusammenrücken dieser demokratischen Kräfte. An einer solchen breiten demokratischen Allianz muss allerdings weiter gearbeitet werden. So verständlich für mich Flügelkämpfe zwischen verschiedenen ideologischen Strömungen der Linken aufgrund der Geschichte im Iran sind, so störend sind diese für das Anliegen der Demokratiebewegung. In einer historischen Situation wie sie derzeit im Iran herrscht, müssen alle demokratischen, liberalen und linken Kräfte über ihren Schatten springen und historische und ideologische Differenzen hintanstellen. Das heißt nicht, dass man diese vergisst oder einfach mit einem Federstrich beseitigen kann. Das bedeutet aber, dass sie nicht daran hindern sollen sich auf gemeinsame Eckpfeiler und einen gemeinsamen Kampf – auch mit islamischen Reformern die als Bündnispartner gegen das Regime Ahmedinejads realpolitisch notwendig sind - zu einigen.
Die internationale Öffentlichkeit besteht allerdings nicht nur aus Europa und den USA, sondern auch aus den unmittelbaren Nachbarländern des Iran in denen die Öffentlichkeit vielfach informierter ist, als in Europa, in denen die politischen Führungen aber jeweils spezifische Interessen in Bezug auf den Iran haben. Auch wenn viele dieser Staaten mit eigenen massiven innenpolitischen Problemen zu kämpfen haben, so gibt es doch v.a. in der Türkei, im Irak und in Pakistan eine weitgehend pluralistische und freie Medienlandschaft, die eine direktere Kommunikation mit der Bevölkerung ermöglicht. Auch dort sollten die Positionen der iranischen Opposition versucht werden einzubringen.
Schwieriger gestaltet sich dies mit Sicherheit in Lateinamerika. Leider verfügen große Teile der lateinamerikanischen Linken – die in unterschiedlichen Ausformungen mittlerweile einen Großteil der Staaten Lateinamerikas regiert – über sehr einfache Vorstellungen der internationalen Politik. Durch die jahrzehntelange imperialistische Präsenz der USA in Lateinamerika, herrscht hier ein Antiamerikanismus vor, der mit der einfachen Logik operiert, dass der Feind meines Feindes mein Freund wäre. Diese Logik bildet den Hintergrund für die enge Zusammenarbeit der venezuelanischen Präsidenten Hugo Chavez mit dem Regime Ahmedinejads und seiner euphorischen Gratulation zu dessen „Wiederwahl“. Leider stehen auch andere linke Regierungen Lateinamerikas unter dem Einfluss des ölreichen und finanziell gut ausgestatteten Venezuela, was gemeinsam mit dem vorherrschenden Antiamerikanismus der Hauptgrund für die Annäherung weiterer lateinamerikanischer Staaten – wie Bolivien oder Ecuador - an das Regime Ahmedinejads bildet. Die Regierungen und die linken sozialen Bewegungen dieser Staaten sollten jedoch nicht von vornherein als Feinde der iranischen Bevölkerung abgeschrieben werden. Ich habe in vielen Gesprächen mit lateinamerikanischen Linken erlebt, dass auch linke Intellektuelle keine Ahnung vom Iran haben und nicht einmal die wichtigsten Basisfakten dieses Landes kennen. So unglaublich dies scheint, aber selbst hohe linke Regierungsvertreter Boliviens wissen nicht über die Unterdrückung der Linken im Iran bescheid. Ich habe mit einer Freundin gemeinsam deshalb einen Aufklärungsartikel zum Iran für eine große linke Zeitung in Bolivien in spanischer Sprache verfasst. Bislang wurde er allerdings nicht publiziert. Es wird sich zeigen ob dies also eine erfolgreiche Methode sein kann hier aufklärend zu wirken. Ich würde aber keinesfalls die Hoffnung aufgeben auch hier linke Bewegungen und Parteien – die immerhin in vielen lateinamerikanische Staaten regieren – über die Situation im Iran aufzuklären und damit auf eure Seite zu ziehen. Das ist mühsame Kleinarbeit, die aber gemacht werden sollte.
Neben der militärischen Option, die derzeit in Zusammenhang mit den Atomanlagen diskutiert wird und die ich hier nicht ausführlicher diskutieren will, da sie das Regime nicht beseitigen sondern festigen wird, werden derzeit international v.a. Sanktionen gegen den Iran diskutiert. Auch diese Debatte ist selten von der innenpolitischen Lage im Iran dominiert, sondern v.a. von der Sorge um das iranische Atomwaffenprogramm. Trotzdem handelt es sich dabei um eine diskussionswürdigere Option. Auch hier stellt sich allerdings die Frage ob Wirtschaftssanktionen jene Wirksamkeit haben, die von ihnen erwartet wird. Bisher zeigen Erfahrungen mit ökonomischen Sanktionen – etwa gegen Serbien, den Irak oder Nordkorea – dass diese nie zum Sturz des jeweiligen Regimes, sehr wohl aber zur Verarmung der Bevölkerung geführt haben. Wirtschaftssanktionen müssen, wenn sie wirksam sein sollen, sehr zielgerichtet ausschließlich gegen das Regime gerichtet werden und nicht wahllos zur Massenverarmung führen. In diesem Falle könnten sie nämlich sogar zur Verlängerung der Lebensdauer des Regimes beitragen. Im Irak etwa, konnte sich das Regime Saddam Husseins in den 1990er-Jahre immer auf die Sanktionen gegen sein Land hinausreden. Das Resultat war nicht der Sturz des Regimes, sondern die Aushöhlung der irakischen Staatlichkeit. Aus einer totalitären Regierung wurde so ein Warlord, der das Land weiter beherrschte und auspresste und dabei noch auf korrupte Helfer in der UNO zählen konnte, aber keine funktionierende Staatlichkeit – nicht einmal eine autoritäre – aufrecht erhielt. Die fatalen Folgen dessen sahen wir in den letzten Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins.
Das irakische Beispiel ist sozusagen das worst case-Szenario für Sanktionen. Wenn sich die internationale Staatengemeinschaft auf Basis des Wissens der iranischen Opposition auf zielgerichtete Sanktionen, die ausschließlich das Regime treffen, aber nicht die Bevölkerung, einigen könnte, wäre dies sicher ein anderes Szenario. Darüber müsste allerdings ausführlicher und konkreter diskutiert werden. Und in manchen Bereichen müssten diese intelligenten Sanktionen sogar mit einer Ausweitung der Kooperation verbunden werden – etwas Kooperationen von Universitäten, Stipendien für Studierende, jedenfalls Kooperationen mit Akteuren der Zivilgesellschaft und mit Akteuren die nicht unmittelbar zum Regime gehören.
Solch intelligente Sanktionen könnten allerdings auch nicht die konkrete Oppositionsarbeit im Iran selbst ersetzen, sondern diese allenfalls begleiten und unterstützen. Eine Änderung des politischen Systems des Iran, kann nur durch die iranische Bevölkerung und die Opposition im Iran erkämpft werden.
Auch nach einem Sturz des Regimes ist jedoch die Errichtung eines stabilen demokratischen Systems keineswegs etwas, was dem Iran in den Schoß fallen wird. Lassen Sie mich deshalb bitte aus meiner Erfahrung mit anderen Situationen nach einem Regimewechsel (etwa im Irak) einige mögliche Gefahren aufzeigen, die meines Erachtens bereits jetzt thematisiert werden sollten um sie rechtzeitig zu bannen.
1. Die Ablösung eines autoritären Regimes bedeutet noch nicht die Etablierung einer funktionierenden Demokratie, sondern kann auch zur Etablierung eines anderen autoritären Regimes führen. Insofern ist rechtzeitig Sorge dafür zu tragen, dass die Tyrannen von heute nicht durch die Tyrannen von gestern – das Shah-Regime – oder die Tyrannen von morgen ersetzt werden. Demokratie benötigt aber auch eine entsprechende soziale Basis und politische Kultur. Dies bedeutet, dass die demokratische Opposition bereits jetzt Konzepte für eine Demokratisierung des Bildungswesens, den Zugang für ärmere und ländliche Schichten zum Bildungswesen, den ökonomischen Aufbau und die soziale Absicherung der ärmeren Klassen diskutieren sollte. Auch moderne Sozialwissenschaften, insbesondere die Politikwissenschaft, verstanden auch als Demokratiewissenschaft, können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Für eine Demokratisierung des Iran nach einem Sturz des Regimes wäre der Aufbau moderner politikwissenschaftlicher Institute auf internationalem wissenschaftlichen Standard sicher sehr hilfreich.
2. Der Fall des Irak zeigt, dass es neben der Etablierung eines anderen autoritären Regimes auch noch eine zweite Falle gibt, nämlich die, der Ethnisierung von Konflikten. Insbesondere in einem multiethnischen und multireligiösen Staat wie dem Iran, in dem die Perserinnen und Perser nur rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und starke nicht-farsi-sprachige Minderheiten, wie die Azeri, Kurden, Balutschen, Araber, Lori, Mazandarani, Gilani oder Talysh auch über historische National- und Autonomiebewegungen verfügen, ist die Gefahr einer Ethnisierung von Konflikten durchaus gegeben. Ein demokratischer Iran müsste auch einen Ausgleich zwischen dem dominierenden Persisch und den Sprachen und Kulturen der Minderheiten zustande bringen ohne dabei die Gesellschaft entlang „ethnischer“ Trennlinien zu spalten. Viele Iranerinnen und Iraner sehen sich nicht ausschließlich als Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe, sondern sprechen unterschiedliche Sprachen, haben innerhalb ein und derselben Familie Angehörige die sich als Kurden, Azeris oder Perser definieren und oft all diese Sprachen gemeinsam sprechen. Für diese Menschen würde der Zwang zur Ethnisierung fatalste Folgen haben. Wohin eine Ethnisierung von Konflikten schließlich führen kann, sehen wir im Irak. Zugleich ist es selbstverständlich ein legitimes Anliegen von Minderheiten ihre Sprachen auch als Amts- und Bildungssprachen verankert zu sehen und in Gebieten wo sie die Mehrheitsbevölkerung stellen auch über bestimmte Formen der politischen Autonomie zu verfügen. Funktionierende föderalistische Systeme können auch demokratieförderlich wirken, da sich die unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems damit wechselseitig kontrollieren können und damit wesentlich zu den Checks and Balances einer Demokratie beitragen. Funktionierender Föderalismus kann auch Ethnisierungen verhindern, da er befriedigende Lösungen für Minderheiten bieten kann, während etwa die Unterdrückung von Autonomieforderungen zu einer Ethnisierung beitragen kann. Es würde für diese Überlegungen zu weit gehen hier von Außen Vorschläge für eine zukünftige Verfassungsarchitektur des Iran liefern zu wollen. Die iranische Opposition, in der ja auch Bewegungen der oben erwähnten nationalen Minderheiten vertreten sind, sollte sich dazu aber bereits jetzt Gedanken machen.
3. Der Iran ist zwar religiös mehrheitlich vom schiitischen Islam geprägt, verfügt aber auch über signifikante Minderheiten der Sunniten (v.a. in Kurdistan und Balutschistan), sowie über nichtmuslimische Minderheiten der Christen, Juden, Zarathustrier und Bahai. Ein zukünftiger demokratischer Iran wird sich auch an der Frage der Religionsfreiheit und des Verhältnisses von Staat und Religion messen lassen müssen. Sollte es nicht gelingen hier eine für alle befriedigende Form des Säkularismus zu finden, der einerseits für religiöse Schiiten tragbar ist, aber andererseits auch für die Minderheiten und für Nichtreligiöse Raum lässt, könnten analog zur Gefahr der Ethnisierung auch religiöse Konflikte drohen. In Balutschistan ist bereits heute teilweise eine Überschneidung religiöser und ethnischer Konflikte zu beobachten, die ein extremes Konfliktpotential beinhaltet.
All diese Probleme halte ich für lösbar. Ich habe die iranische Bevölkerung im Exil, aber auch die Iranerinnen und Iran im Iran, die ich auf einer meiner schönsten und interessantesten Reisen kennen lernen durfte, als eine sehr gebildete, aufgeschlossene und freiheitsliebende Bevölkerung erlebt. Diese Bevölkerung hat das Potential dafür, ein demokratisches System zu errichten, das sich an den universellen Menschenrechten orientiert, das keine politischen Gefangenen, Diskriminierungen aufgrund des Geschlechtes oder der Religion, keine Todesurteile gegen Homosexuelle, Oppositionelle oder irgend jemanden sonst mehr kennt, das nicht von Antisemitismus oder antiwestlichen Ressentiments durchzogen ist. Ich wünsche den Iranerinnen und Iranern jedenfalls, dass sie diesen Wandel mit möglichst geringen Opfern und möglichst erfolgreich erkämpfen können und freue mich jetzt schon darauf eines Tages an einer Universität in einem befreiten Iran als Politikwissenschafter sprechen zu können.
Thomas Schmidinger
Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien
e-mail: thomas.schmidinger@univie.ac.at
http://homepage.univie.ac.at/thomas.schmidinger/